WANN IST EIN SELBSTSTÄNDIGER BERUFSUNFÄHIG?
Immer wieder müssen Gerichte die Entscheidung treffen, ob und zu wieviel Prozent ein Selbstständiger berufsunfähig im Sinne der Vertragsbedingungen ist. Interessant hierzu ein Urteil des OLG Frankfurt vom 19.03.2010 (Az.: 7 U 284/08)
Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Selbstständiger berufsunfähig (im Sinne der jeweiligen Vertragsbedingungen) ist, ist immer auf seinen zuletzt ausgeübten Beruf abzustellen, so wie er konkret ausgestaltet war. Hier muss ein Selbstständiger darlegen, wie sein Betrieb organisiert war und in welchem Umfang er durch seine Mitarbeit welche Tätigkeiten verrichtet hat.
Zusätzlich hat er noch den Nachweis zu erbringen, dass es ihm nicht möglich ist, seinen Betrieb in zumutbarer Weise entsprechend umzuorganisieren, um dadurch eine Berufsunfähigkeit zu vermeiden.
Im vorliegenden Fall war der Kläger als Inhaber einer Textilreinigung vollschichtig tätig. Der Arzt des Klägers bescheinigte im Jahre 2005 eine BU zu mindestens 50%: Verrschleiss-Erscheinungen im Bereich der Lenden- und Halswirbelsäule, Schulterbeschwerden und eine Arthrose im Kniegelenk. Trotz dieser Beschwerden übte der Mann seinen Beruf weiter bis Oktober 2006 aus.
Dann erinnerte er sich an seine Berufsunfähigkeitsversicherung und beantragte enstprechende Leistungen (Hier: Beitragsbefreiung der Hauptversicherung)
Der Versicherer lehnte ab: Die 50% Berufsunfähigkeit lägen nicht vor, lediglich 30%, ausserdem könne der Kläger ja seinen Betrieb so umorganisieren, dass er nicht BU sei und weiter arbeiten könne. In erster Instanz bekam der Versicherer recht, weil auch ein Gutachter die 30% der Versicherung bestätigte.
Der Kläger ging in Berufung: Sein tatsächliches Tätigkeitsbild sei nur unzureichend berücksichtigt worden und das Gutachten mit 30% stehe in erheblichem Widerspruch zum ersten Bericht seines Arztes.
Nach Ansicht des OLG ergab isch folgendes Bild: Der Mann musste in seinem Beruf regelmässig Säcke zwischen 15 und 30 Kg Gewicht tragen, die Arbeit fand fast ausschliesslich im Stehen statt – eine Verlagerung auf eine sitzende Tätigkeit nicht möglich. Auch eine Umorganisation (=Delegation der nicht durchführbaren Tätigkeiten an andere Mitarbeiter) sei nicht möglich, da im Betrieb ausschliesslich Frauen beschäftigt waren.
Unter Berücksichtigung dieser Überlegungen kam das OLG zu dem Entschloss, dass in der Vorinstanz die individuelle Ausprägung der Tätigkeit des Klägers zu wenig berücksichtigt worden war. Insofern wurde der Klage des Mannes auf Leistung aus seiner BU Versicherung statt gegegebn.
Mein Kommentar:
Gerade dann, wenn Sie nicht zu 100% ausschliessen können, jemals in Ihrem Leben unter Umständen selbtständig zu sein (denken Sie hier auch an eine „erzwungene Selbstständigkeit“!), sollten Sie die Vertragsbedingungen an dieser speziellen Stelle einer sehr, sehr sorgfältigen Prüfung unterziehen. Nicht nur, dass die Versicherungen beim Selbstständigen zusätzlich zu den anderen Hürden auch noch die Hürde der „zumutbaren Umorganisation des Arbeitsplatzes“ stellt. Allein schon die Definition des Begriffes „zumutbar“ wird aus der Sicht des Versicherers sicher anders gesehen als aus der Sicht des Betroffenen. Leider ist es so, dass an dieser Stelle gerade mal eine Handvoll Versicherer saubere Formulierungen in den Bedingungen verwendet, deshalb kommt es immer wieder zu solchen Prozessen. Richtig dramatisch wird es, wenn der Versicherer für den Selbstständigen dann auch noch das ultimative KO Kriterium Abstrakte Verweisung (=Sie könnten ja noch etwas anderes machen) in seinen Bedingungen stehen hat – leider bei sehr vielen Versicherungen der Fall!
Wenn Sie selbstständig sind, oder nicht ausschliessen können, irgendwann einmal selbstständig zu sein: Hände weg von solchen Versicherungen mit unklaren Formulierungen und Bedingungen an dieser Stelle. Lassen Sie sich von Ihrem Berater zeigen und erklären, wie das an dieser
Stelle im Vertragswerk geregelt ist.